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Die Dynamik der Entscheidung

Stellen Sie sich die folgende Situation vor. Sie haben ein Unternehmen, das den Kalkulationen zufolge etwa acht Millionen Euro wert ist. Da Sie sich nach Jahren des Aufbaus und der Führung des Unternehmens zur Ruhe setzen möchten, haben Sie vor, das Unternehmen zu verkaufen. Tätigen wir nun die Annahme, dass Sie ein sehr fairer Mensch sind und Fairness für Sie sowohl privat als auch bei geschäftlichen Transaktionen eine große Rolle spielt. Sie haben den Markt eruiert und Kontakt mit einigen Investoren aufgenommen, die Interesse an einem Kauf zeigen. Nach monatelangen Verhandlungen bleibt ein Käufer übrig, der großes Interesse bekundet und aus diesem Grund bereit ist, das Unternehmen über seinen Wert, nämlich für 9,2 Millionen Euro, zu kaufen. Da Ihr Unternehmen dem Interessenten den Zugang zu einem exklusiven Kundenstamm ermöglicht und der Interessent genau in diesem Bereich besondere Produkte hat, die er dem Kundenstamm verkaufen möchte, lohnt sich der Kauf für ihn. Der Interessent wird bereits in absehbarer Zeit seine Investitionskosten amortisieren können.


Kurz vor dem Abschluss des Geschäfts meldet sich ein weiterer Interessent aus dem Ausland. Dieser ist neu in dem Geschäftsfeld und überschätzt die Wertigkeit des Unternehmens. Er bietet Ihnen 14,2 Millionen Euro.

Nun wäre es nicht fair, dem fachfremden Interessenten das Unternehmen zu verkaufen, da seinerseits eine Fehlschätzung vorliegt. Aber würden Sie dies tun? Würden Sie Ihr Unternehmen dem ausländischen Investor verkaufen oder von einem Verkauf absehen? Sofern Sie verkaufen sollten, ist Ihre Entscheidung kongruent mit Ihrer Überzeugung, fair zu agieren?

Wenn Sie sich dafür entscheiden, dem ausländischen Investor das Unternehmen zu verkaufen, ist Ihr Interesse, die zusätzlichen fünf Millionen Euro zu erhalten, gewichtiger als Ihre Überzeugung, fair zu agieren. Denkbar ist an dieser Stelle, dass viele auch ihre unfaire Entscheidung rationalisieren würden, indem sie bei ihrem inneren Dialog erwähnten, dass fair ist, was der Markt hergibt, sich dessen bewusst, dass das Unternehmen hierbei um mehr als ein Drittel über den Wert verkauft wird. Wenn es um das Rationalisieren geht, sind die Menschen sehr ideen- und geistreich. Letztendlich geht es bei diesem inneren Dialog darum, das eigene Gewissen zu beschwichtigen und eine Rechtfertigung bzw. einen Vorwand darzubieten, den das Gewissen als Einwand abkauft. Wir legen unser Gewissen und somit uns selbst in solchen Situationen rein.


Die Dynamik in diesem Beispiel, dass Menschen ihre Entscheidungen vorrangig nach ihren Interessen und nicht nach ihrer Überzeugung treffen, ist ein Schlüsselfaktor. Dieser Schlüsselfaktor ist von besonderer Wichtigkeit bei einer Verhandlung. Wenn man diesen Aspekt gänzlich nachvollzogen hat, versteht man auch, warum es bedingt zweckmäßig ist, bei einer Verhandlung zu argumentieren. Denn wenn wir argumentieren, können wir bestenfalls den anderen überzeugen. Sofern wir aber seine Interessen nicht bedienen können, wird er die Entscheidung dennoch anders treffen, als wir dies erwarten, eben im Sinne seiner Interessen und konträr zu seinen Überzeugungen, wie es das erläuterte Beispiel verdeutlicht.

Es sollte erwähnt werden, dass es mit Sicherheit Personen gibt, die sich in unserem Beispiel für eine Absage entscheiden würden. Aber es werden nicht viele sein. Die Meisten ziehen ihre Interessen ihren Überzeugungen vor.


Wenn auch Argumente im dargestellten Kontext nicht die Wirkung haben, die man sich als Verhandlerin oder Verhandler wünscht, so haben sie dennoch einen Einfluss auf das Verhandlungsgeschehen. Wie ist das nun gemeint?Als Erstes ist zu berücksichtigen, dass, bevor wir argumentativ tätig werden, die Interessen und Ängste des Verhandlungspartners so weit wie möglich eruiert werden sollten. Denn unsere Argumente sollten vor allem die Interessen und Ängste des Verhandlungspartners adressieren, statt auf seine Überzeugungen zu zielen. Darüber hinaus können Argumente dazu dienen, dass der innere Dialog des Verhandlungspartners beeinflusst wird, allerdings in der Regel nur dann, wenn Interessen und/oder Ängste hierbei ebenso betroffen sind.


Ein Beispiel:

Zwei Personen suchen eine Einigung bei einer geschäftlichen Transaktion. Sie möchten als Partner gemeinsam ein Produkt entwickeln und verkaufen. Bei ihren Gesprächen merken sie unter anderem an, dass sie als gleichwertige Partner agieren möchten. Dabei hat die eine Person mehr Knowhow im Bereich Produktentwicklung und die andere im Bereich Vertrieb. Der Partner mit Produktkenntnissen möchte allerdings 60 % des Verkaufserlöses und gesteht dem anderen 40 % zu. Er begründet dies damit, dass nur er dieses Knowhow hat und deshalb auch unersetzlich sei, während die Verkaufsaufgabe auch von anderen Verkaufsexperten durchgeführt werden könnte. Faktisch hat er Recht, da niemand außer ihm ein solches Produkt entwickeln kann und der Vertrieb des Produktes in der Tat von anderen Verkaufsexperten übernommen werden könnte. Dennoch lässt sich der Vertriebspartner auf den Vorschlag des Knowhow-Trägers nicht ein. Es beginnt eine endlose Diskussion. Hierbei zielt der Knowhow-Träger darauf ab, den anderen mit logischen Argumenten zu überzeugen, und logisch betrachtet hat der Knowhow-Träger Recht mit seinen Ausführungen. Aber der Vertriebsexperte vollführt bei seinem inneren Dialog keine logische Abwägung, er prüft lediglich, ob sein Interesse getroffen ist, als gleichwertiger Partner behandelt zu werden. Da dies nicht der Fall ist, lehnt er die Argumente und Ausführungen des anderen ab und positioniert sie als falsch.Der Knackpunkt ist hierbei die Erwartungshaltung des Vertriebsexperten, ein gleichwertiger Partner zu sein, welche das Interesse an einer gleichwertigen Vergütung erzeugt. Um den Vertriebsexperten, der eine solche Haltung in sich trägt, zu erreichen, muss der Knowhow-Träger vom logischen Argumentieren absehen und auf das Interesse des anderen abzielen, nämlich Gleichwertigkeit. Zugleich muss der Knowhow-Träger sich selbst gegenüber eingestehen, dass es falsch war, die Partnerschaft rhetorisch als gleichwertig zu positionieren, da dies der Realität nicht entspricht.Nun hat der Knowhow-Träger zwei Möglichkeiten. Entweder legt er dem anderen offen, dass die Partnerschaft nicht gleichwertig ist, und zielt somit darauf, die Erwartungshaltung des anderen zu ändern bzw. diese an die Realität der Situation anzupassen - oder er findet eine andere Möglichkeit, die Wahrnehmung bzw. Empfindung der Gleichwertigkeit bei seinem Partner zu erzeugen und somit sein vorhandenes Interesse zu berücksichtigen.

Der Knowhow-Träger entscheidet sich dafür, die Erwartungshaltung des Verkaufsexperten der Realität anzupassen. Hierzu stoppt er die Partnerschaftsgespräche und hört sich im Markt um, ob andere Personen oder Instanzen für eine Partnerschaft infrage kommen. Er erhält mehrere Angebote. In der Zwischenzeit ist der Verkaufsexperte bestrebt, nochmals Kontakt mit seinem Gegenüber aufzunehmen und die Partnerschaftsgespräche fortzuführen. Der Knowhow-Träger bietet ihm einen Termin an. Hierbei legt er offen, dass ihm Partnerschaftsangebote anderer Interessenten vorliegen und er diese abwägen möchte. Zugleich erwähnt er, dass ihm eine Zusammenarbeit mit dem Verkaufsexperten lieber sei, da man sich bereits kennen würde.


Es finden einige Folgegespräche statt.


Um die Chance des Vertriebs eines exklusiven Produktes nicht zu verpassen, indem er durch einen anderen ersetzt wird, lässt sich der Verkaufsexperte, dessen Erwartungshaltung nun durch die Wahrnehmung der tatsächlichen Machtverhältnisse der Verhandlungsrealität angepasst wurde, auf eine 60-40-Aufteilungskonstellation ein: 40 % für ihn und 60 % für den Knowhow-Träger. Man einigt sich.


Entscheidend für die Einigung war zwar im Kern die Änderung der Erwartungshaltung. Aber bei den Gesprächen in diesem Kontext argumentiert der Knowhow-Träger weiterhin und erwähnt stetig die Vorteile einer Zusammenarbeit. Er begründet zudem, warum eine 60-40-Konstellation sinnvoll sei.Die Argumente allein genügen nicht, damit eine Person, in diesem Fall der Verkaufsexperte, der Logik folgend ihre innere Haltung ändert, aber wenn ausreichend Druck erzeugt wird, zum Beispiel, indem der Verkaufsexperte seine Position in der Partnerschaft gänzlich schwinden sieht, dann verwendet er die dargebotenen Argumente, um sich selbst bei seinem inneren Dialog zu überzeugen und der Marschrichtung des anderen zu folgen. Das heißt, die Kombination von Interessen- bzw. Angstadressierung und Argumentation ist durchaus erfolgreich. Aber wer seinen gesamten Fokus auf das Argumentieren legt, wird sich in einem endlos rhetorischen Disput wiederfinden. Wer ausschließlich mit den Machtverhältnissen manövriert und vom Argumentieren gänzlich absieht, wird sich eventuell dennoch durchsetzen können, aber er wird zugleich einen unzufriedenen und missgestimmten Partner an seiner Seite haben, der bei jeder Gelegenheit die Partnerschaft zu seinen Gunsten ändern oder sich der Partnerschaft entziehen möchte und somit viel Verschleiß erzeugt.


Das Ziel beim Argumentieren ist somit, dass der Partner die Argumente und Begründungen bei seinem inneren Dialog verwendet und somit sich selbst überzeugt. Das gelingt allerdings nicht, wenn das Interesse gewichtiger ist als die Überzeugung. Also muss man an beiden Polen arbeiten, um ein gutes Ergebnis zu erlangen. Es sollte sowohl die Seite der Interessen und Ängste adressiert werden als auch die Dimension des Argumentierens, dann ist die Chance, sich durchsetzen zu können, relativ groß.


Die Dynamik, die im Kontext des Treffens einer Entscheidung existiert, ist derart, dass eine Entscheidung bei uns Menschen kein gedankenbasierter Prozess ist, sondern im Kern gefühlsbasiert. Der Gefühlsmodus, in dem wir uns befinden, ist somit für die Entscheidung, die wir treffen, viel prägender, viel wirksamer als die Gedankenabläufe. Die Gedankenabläufe sind in der Regel nichts anderes als die Rationalisierung des Gefühlsmodus. Eine Rationalisierung, die in den meisten Fällen unbewusst stattfindet. Sind wir also erst einmal in einem unpassenden Gefühlsmodus, der zum Beispiel angstbehaftet und von Gier initiiert ist, werden sich die Gedanken in uns dieser emotionalen Haltung anpassen, ihr folgen und ihre Präsenz rechtfertigen. Das ist auch der Grund, warum der Vertriebsexperte in unserem zuvor erläuterten Beispiel erst nach Änderung der empfundenen Machtverhältnisse zugänglich für die Argumente seines Gegenübers wurde. Er wurde zugänglich, weil die emotionale Haltung in ihm sich geändert hat. Die Argumente waren ja stets dieselben. Die Änderung vollzog sich im Gefühlsmodus des Vertrieblers und dieser Änderung folgte auch die Empfänglichkeit für die Argumente, die schon längst da waren.  

 

 

  

 

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